Dies soll der Start einer Reihe sein: Methoden im Selbsttest. Ich habe mir vorgenommen, ein paar Reflektionsübungen, die ich schon lange mit Studierenden und Teilnehmenden durchführe, für mich selbst auch (oder auch mal wieder) zu machen. Perspektivwechsel und so.
Den Anfang macht die Methode „Mein Wertewappen“. Entdeckt habe ich die Übung 2009 ursprünglich hier bei Reinhard Schilmöller Ich habe sie inzwischen inhaltlich etwas angepasst. In Seminaren platziere ich die Übung relativ früh, in der Regel am Nachmittag des ersten Trainingstages.
Die traditionellen Kulturmodelle wie Eisberg und Zwiebel und auch die meisten Kulturdefinitionen gehen davon aus, dass Werte im Kern einer Kultur verankert und schwer zugänglich sind. Diese Übung soll verdeutlichen, dass unser Wertesystem sehr persönlich ist und über die Zeit durch verschiedene Einflüsse entsteht. Werte sind eben weder universell noch rein durch Nationalkulturen beeinflusst. Wir sehen sie als sinnvoll, nützlich und erstrebenswert an.
Anhand der fünf wertebildenden Institutionen Family, Education, Nation, Media und Community (Quelle: Eine US-amerikanische Studentin sagte uns, dass sie das so in ihrer Schule gelernt hätte – ich finde das plausibel, habe das aber noch nicht nachverfolgen können) lasse ich die Teilnehmenden jede für sich je einen Wert symbolisch zeichnen. Zur Inspiration zeige ich ein paar Wappen und Wappentiere, die in der Welt vorkommen. Falls Zeichnen dann noch auf zu viel Widerstand stößt, lasse ich ersatzweise Zitate finden. Auf dieser Basis gehen die Teilnehmenden erst in die Selbstreflektion: Was ist ihnen wichtig? Woher kommt das vermutlich? Wie äußert sich das im Alltag?
In einem nächsten Schritt geht es darum, in den Dialog und ggf. ins Storytelling zu kommen. Betrachtet die anderen Wappen, die inzwischen aushängen. Was fällt euch auf, was findet ihr interessant, wozu möchtet ihr mehr wissen? Was hättet ihr nicht gedacht? Was könnt ihr nicht entziffern? So manches Mal haben die Studierenden dann schon ihre oberflächlichen ersten Eindrücke von Kommilitoninnen im Kurs über Bord geworfen und ganz nebenbei ergeben sich meist vertiefende Gesprächsthemen. Was man auch schön zeigen kann ist: Möglicherweise sind die Wert gleich, sie äußern sich nur anders. Oder andersherum hinter vermeintlich gleichem Verhalten stecken andere Werte. Auch dass manche Symbolik kulturspezifisch ist. So bedeuten einige Tiere in verschiedenen Zusammenhängen, Sprachen und Kulturen gegensätzliches, Stichwort Eule, Ratte, Schwein.
In einem weiteren Schritt kann man Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Seminargruppe oder im Team beleuchten. Wo kann man gut andocken in der Zusammenarbeit mit anderen? Wo passt es vielleicht gut – eher mit Gleichgesinnten oder eher, wenn man sich ergänzt? Was leiten wir daraus ab für die Kommunikation in solchen Teams?
Kommen wir nun zu meinem Wertewappen:
- Education: Was habe ich aus Schule und Studium mitbekommen? Worauf kam es da an?
Als Schülerin und Studentin hatte ich einen ziemlichen Fächermix gewählt, will heißen Mathematik und Englisch als Leistungskurse bzw. dann BWL und Kulturtheorie als Hauptfächer im Magister. Es ging also immer darum, die Dinge aus mehreren Perspektiven und interdisziplinär zu betrachten – dafür stehen die Ferngläser in meinem Wappen. Es wurde in Schule wie an der Uni viel Wert darauf gelegt, kritisch zu reflektieren und alle Stimmen zu beteiligen. Nicht immer was mir damals klar, was eigentlich eine gute wissenschaftliche Hausarbeit, Prüfung etc. ist. Man ging gefühlt immer davon aus, dass das alles schon klar ist – auf Transparenz lege ich heute sehr viel Wert. Ich denke, beides prägt mich auch in meiner eigenen Lehre sehr. - Familie: Was hat meine Familie, was haben meine Eltern mir mitgegeben? Wofür wurde ich in meiner Kindheit ermahnt, wofür gelobt?
Meine Familie hat mich zur Eigenständigkeit erzogen. Meine Eltern haben mir in dieser Hinsicht immer viel Vertrauen entgegengebracht. Sie haben mich machen und reisen lassen. Auch die Rolle als große Schwester trug sicherlich dazu bei. Was typische Kommentare angeht, so habe ich vor allem zwei Sachen im Ohr: „Die anderen haben auch Recht.“ und „Bloß keinen Aufwand betreiben lassen“. Ersteres – die im Wappen eingezeichnete Brillenübergabe – bezog sich darauf, dass ich bei kleinen Konflikten aufgefordert wurde, die Sache aus der Perspektive der anderen zu sehen – ich denke, dass hat meine Empathie sehr gestärkt. Letzteres sollte dazu führen, dass man anderen nicht zur Last fällt.
- Medien: Welche Botschaften aus den Medien haben mich beeinflusst? Welche reale oder fiktive Heldin bewundere ich?
Carpe diem – den Tag genießen und sich auch mal etwas gönnen. Ich sehe mich als einen sehr pflichtbewussten Menschen. Ab und zu habe ich gar eine work-a-holic-Phase. Radiomusik, Kochsendungen im Fernsehen, Zeitschriften und Magazine bedeuten für mich Abschalten vom Arbeitsalltag, Kraft schöpfen und die Gedanken abschweifen lassen. Was die Hochkultur angeht, so hat mich im Kunstkurs das Leben und Werk von Paula Modersohn-Becker besonders beeindruckt.
- Nation: Mit welchen Werten aus deinem Heimatland kann ich mich identifizieren?
Die Skizze im Wappen soll für das Prinzip „Walk the talk“ stehen – das, was man sagt, auch machen. Ich betrachte mich selbst als zuverlässig und hoffe, dass das auch andere so sehen. Außerdem bin ich eine rigorose Mülltrennerin und kann es nicht gut ertragen, wenn Essen weggeworfen sind. Die Werte dahinter würde ich als Umweltschutz und Nachhaltigkeit benennen.
- Community: Welche Dinge sollten andere Menschen über dich sagen?
Ich wünsche mir, dass die Leute über mich sagen, dass ich freundlich, kompetent und humorvoll bin. Ich bringe gerne Leute zusammen, die ich aus ganz verschiedenen Gebieten und meinen unterschiedlichen Identitäts-Blasen kenne und hoffe, dass sie sich dadurch inspiriert fühlen und in guter Gesellschaft empfinden.